Stimme, Sprache und Bedeutung oder was ich von meinem Studium mitnehmen werde

Erst einmal, nur damit ich mich hier nicht des Plagiats schuldig mache: das Folgende ist meine Mitschrift aus einer Stunde bei Rainer Just, “Poststrukturalistische Philosophie und Literatur”, gespickt mit ein paar eigenen Überlegungen:

Für Derrida ist das Phänomen der Stimme ganz zentral. Er behauptete, die Stimme ist ganz nah an der Präsenz/dem Sein/dem Geist/dem Logos. Mit anderen Worten, Stimme definiert uns. Je lauter man ist, desto mehr Präsenz und im Endeffekt auch Macht hat man.
Der Poststrukturalismus ist gegen die Idee der Stimme als Präsenz; gegen autoritäre/totalitäre Systeme. Man muss auch das Andere zu Wort kommen lassen; Heterogenes muss hineingenommen werden.
Aber genau durch diesen Ansatz des “zu Wort kommen lassen” wird bestätigt, dass die Präsenz der Stimme zwar vielleicht eine unangenehme Idee ist, aber doch auch ihre Rechtfertigung hat.

Wie bekommt ein Wort seine Bedeutung?
Bedeutung entsteht relational durch Differenzierung von anderen Werten. Das heißt auf gut Deutsch: ein Wort für sich hat keine Bedeutung, ich bin angewiesen auf andere Worte, um die Bedeutung eines Wortes zu erklären: Wenn etwas nicht nass ist, ist es trocken. Wenn es nun aber nichts Nasses gäbe, hätte dann das Wort trocken überhaupt noch eine Bedeutung?

Bedeutung steht immer in der Dialektik Individualität gegenüber Allgemeinem: Jeder drückt sich anders aus und doch ist es dasselbe, was wir meinen. Oder wir sagen dasselbe, meinen aber was komplett Unterschiedliches. Trotzdem ist das System der Sprache immer das Allgemeine, es gibt festgelegte Regeln, deren Brechen zwar nicht unbedingt ein Nicht-Verstehen, aber zumeist doch etwas Verwirrung zur Folge hat.
Sollte ich mich heute entscheiden anstatt Ja immer nur Glub zu sagen, wäre das zwar eine sehr individuelle Entscheidung, würde aber dazu führen, dass ich wohl kaum richtig verstanden würde.
Andererseits haben Leute wie Ernst Jandl natürlich die Möglichkeit der Individualität voll ausgenutzt und wurden verstanden, wenn auch letztendlich ihre Erfindungen nicht in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen sind.
Die Frage ist ganz einfach: Wie sehr kann ich Sprache im Individuellen verändern, so dass ich im Allgemeinen noch verstanden werde?

Saussure versucht Sprache und Bedeutung durch drei Begriffe miteinander zu verbinden: Signifikat, Signifikant und Referent.
Das Signifikat ist das Beschriebene. Der Signifikant das Beschreibende. Der Referent die außersprachliche Realität.
Um ein Beispiel anzuführen:
Wenn ich Baum schreibe, gibt es zunächst die vier Buchstaben B A U M, die der Signifikant darstellen. Dann lösen diese vier Buchstaben bei einem Leser auch ein gewisses geistiges Bild aus, sozusagen die Bedeutung oder das Signifikat. Und letztendes gibt es einen Baum, der irgendwo tatsächlich steht, das wär der Referent.
Saussure interessiert der Referent nicht, er konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Signifikat und Signifikant. Das ist ungefähr so, als ob man bei Platos Höhlengleichnis die Ideen außer acht ließe und sich einfach auf die Schatten und ihre Wirkung bei uns konzentrieren würde.
Das erinnert mich daran, dass ich einmal gelesen habe, dass wir gar nicht wissen ob die Blätter eines Baumes tatsächlich grün sind, wir sehen sie nur grün, weil sie all das andersfarbige Licht absorbieren. Aber was würde es für einen Unterschied machen, ob sie irgendeine andere Farbe haben, wo wir sie doch immer nur grün sehen werden? (Was mich weiterführend auch dazu bringt, woher wir wissen sollen, dass für jeden Menschen grün gleich ausschaut. Vielleicht schaut für den Einen grün so aus, wie für mich rot ausschaut, aber er sagt nun mal grün dazu, weil ihm von Anfang an gesagt wurde, dass das grün ist.)
Aber zurück zum Poststrukturalismus: Der geht nämlich noch einen Schritt weiter: Nur die Signifikanten sind interessant, weil sie erkennbar sind, man sie irgendwie stukturieren und untersuchen kann. Signifikate kann man nicht beurteilen und miteinander in Bezug setzen (oder nur sehr schwer).

Aber gerade diese erschwerte Untersuchung macht jeden augenscheinlichen Fehler, jede kleinste Devianz (=Verschiebung) besonders interessant und bedeutend, denn sie geben darüber Aufschluss, wie ein Signifikat bei einer Person anders ausschauen kann als bei einer anderen. Bei Freud werden sie sogar zum bedeutendsten Teil seiner sprachlichen Untersuchungen. Wenn ich permanent Wörter miteinander verwechsle, dann wahrscheinlich, weil sich ihre Signifikaten bei mir ähneln. Und das könnte natürlich einen Aufschluss über meine Persönlichkeit geben.

Noch zwei Sätze zum Abschied, dann ist diese Hirnwixerei zu Ende. Wer weiß, ob überhaupt noch jemand das hier liest:

Negativität ist der nie aufgehende Rest.

Sprache ist promiskuitiv. (Luther: “Die Vernunft ist eine Hure.”) Sie wird von jedem verwendet und missbraucht. Sprache übt Gewalt aus, tötet das Individuelle, das Nicht-angepasste.

7 comments

  1. Ha, ich weiß ja, warum ich Jus studiere (damit ich verstehe, was man mich lehrt…). Nein, im Ernst, das klingst sehr faszinierend. Studierst du (auch) wieder, trotz Vollzeitarbeit?

    Hoffe, wir sehen uns in Wien auf einen Kaffee. Oder auf ein Huhn/Rinder/Stück Blumenkohl.
    Hab ein blog neubegonnen! http://www.myblog.de/leonsdream

  2. Ich muss mit dir reden, es hat sich etwas Abscheuliches ereignet. Hast du Scotchgläser? Ich spendiere den Scotch. Oder vielleicht sollte ich mich lieber allein totsaufen und dann unter die Straßenbahn legen nachdem ich Arsen im Scotch aufgelöst und mich erschossen habe. Hab nicht einmal mehr Lust, die Welt zu retten… *buhu*

  3. Nein, ich studiere nicht mehr. Das war meine Art, mich offiziell zu verabschieden. Aber ich habe mich bei einer FH beworben. Mehr Info am Telefon.

    Lonesome, lass den Kopf nicht hängen… Alles wird wieder gut.

  4. ich habe festgestellt, dass ich dir unrecht getan habe und es tut mir auch sehr leid. war ewig nicht mehr auf deinem blog in der annahme, dass sich bei dir eh immer länger nichts tut, aber weit gefehlt! da hatte ich ja jetzt ganz schön aufholbedarf beim lesen!
    ich möchte zu dieser thematik noch folgendes anmerken:
    – ohne kopie gibts kein original
    – signifikanten sind arbiträr und konventionell, baum könnte genausogut bmua heißen, wenn alle sprecher sich drauf einigen
    – manchmal habe ich wirklich das gefühl, dass alle leute farben anders sehen. wir sollten das mal ausprobieren, wir suchen uns ein ding und alle müssen es farblich benennen. ich wettte, wir wären uns nicht einig.

  5. Dazu fällt mir wiederum dieses Massenemail rein, dass vor ein paar Jahren so modern war, wo alle Buchstaben innerhalb eines Wortes vertauscht waren, abgesehen vom Anfangs- und Endbuchstaben und man es trotzdem lesen konnte.

    Dein Farbtest hat einen Flaw (schreibt man das eigentlich so?) – selbst wenn wir uns einig wären, würden wir nie wissen, ob wir auch dasselbe sehen oder nur gleiche Signifikanten für unterschiedliche Referenten verwenden.
    Das ist so ein unklärbares Ding wie die Frage, was mehr weh tut: ein Tritt in die Eier oder Wehen…

  6. ja, da hast du natürlich recht. mir ist es nur schon ein paar mal passiert, dass irgendwer behauptet hat, etwas wäre beispielsweise grau, obwohl es in (meiner) wirklichkeit blau war und ein dritter hat dann gemeint blaugrün, oder so ähnlich. aber selbst wenn alle sich auf blau einig wären, wäre natürlich trotzdem nicht geklärt, ob alle die selbe farbe sehen, das ist wahr. faszinierendes thema!

  7. […] I think I’ll spare you going into Saussure. [Unless you tell me in the comment section that you want to know all about the signifier, the signified and the referent, then I’ll be happy to give you a crash course. Or I’ll just point you to this old post, where I explain the whole thing in German.] […]

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